8. Das Tierkreuz

Der Beamte und der Knecht begaben sich zur Mittagsstunde in Roberts Kammer. Robert wollte den Knecht so schnell wie möglich schulen, damit dieser zukünftig die Verteilung der Aufgaben übernehmen konnte. Zu dieser Zeit war die Aufgabenverteilung sehr willkürlich. Das mochte im Moment zweckmäßig sein, konnte aber auf Dauer keinen Bestand haben. Der Knecht sollte imstande versetzt werden, sowohl Posten als auch Aufgaben so zu verteilen, dass es den Charakterzügen der Leute schmeichelte. Nur so könnte sich die Burg und später das Land gut entwickeln.

Robert begann, indem er eine Holztafel auf den Tisch legte. Auf der Tafel waren vier Tiere dargestellt. Die Tiere waren mit einem Kreuz voneinander getrennt. An den Kanten war die Tafel beschriftet.

„Du musst lernen, schnell einzuschätzen, wer Freund und wer Feind ist.“ Begann Robert seine Lehre. „Du musst herausfinden, zu welchen Zwecken die Leute dienlich sind. Mach sie dir zu Untertanen, noch ehe sie bemerken, was geschieht. Ein jeder eint fünf Wesenszüge in sich. In jedem sind diese unterschiedlich stark ausgeprägt. Meist dominieren ein oder zwei und bestimmen das Wesen. Das Tierkreuz beschreibt diese Wesenszüge. Wenn du das Tierkreuz beherrscht, dann wirst du jeden schnell einschätzen können, ohne die komplexen Mechanismen der Gedankenwelt ergründen zu müssen.“

Der Knecht war begierig und gespannt. Robert begann ohne Umschweife:

„Vier Tiere und ein Dämon zeigen alles, was ein Wesen ausmacht.

Der Dämon ist voller seelischer Irrfahrten. Befallen von niedersten Manifestationen von krankhaftem Verlangen. Der Dämon zeigt Neid, Rachelust, Gier, Wut, Depression, Trauer, Kummer, Mani, Blutdurst, Mordlust, Hass und Zwang. Der Dämon ist zu nichts nutze. Er stiftet Unfrieden und verlockt andere es ihm gleich zu tun. Am besten sind die Eigenschaften des Dämons beim Feind platziert. Der Dämon ist nicht Teil des Tierkreuzes. Er steht als dunkler Schatten außen vor. Er zeigt sich selten offen und ist daher am schwersten zu erkennen.

Der Dämon zeigt sich, wenn er übel über andere spricht oder sogar aufwiegelt. Er sieht nur die schlechten Dinge. Das Glück der anderen kränkt ihn. Nichts kann ihn zufriedenstellen. Selbst Schadenfreude verschafft seiner Pein nur eine kurze Pause. Er saugt Lebensfreude aus seiner Umgebung, verlangt Mitleid und Aufmerksamkeit. Der Dämon ist ein Wechselwesen. Er wird als anstrengend und erdrückend empfunden. Er kann aber auch als bemitleidenswert und hilfsbedürftig empfunden werden. Wenn er sich als dumm und naiv verstellt, kann er hinterhältig zuschlagen und jeden Geist vergiften. Lerne den Dämon zu erkennen und zu meiden.

Der Kauz ist der Planer und der Formalist. Er liebt klare Strukturen und taktet jeden Augenblick. Der Kauz strebt nach Perfektion und bringt die Dinge erst zu Ende, wenn sie wirklich vollendet sind. Er verliert sich in Details und hasst Unregelmäßigkeiten. Er ist pünktlich und genau, praktisch und einfallsreich. Er kennt sich aus, denn er beschäftigt sich auch mit den unangenehmen Dingen. Der Kauz meidet Veränderung und fühlt sich wohl, wenn alles immer demselben Ablauf folgt. Er wird als zurückhaltend und manchmal als anstrengend empfunden.

Der Adler ist Vollstrecker und Antreiber. Er ist der perfekte Anführer. Schnell und zielorientiert. Der Adler hasst es, im Unrecht zu sein und er hasst es besonders zu verlieren. Dafür muss ein Sieg für ihn nicht vollkommen oder perfekt sein. Er ist auf sich selbst bezogen und kann sehr rücksichtslos sein, wenn er seinen Willen durchsetzt. Der Adler könnte es sich niemals verzeihen, mit leeren Händen von einer Mission zurückzukehren. Er lässt sich leicht provozieren. Anerkennung und Erfolg ist für ihn wie Nahrung. Der Adler wird als kontrollierend und manchmal als anstrengend empfunden.

Das Eichhörnchen ist Chaot und Freigeist. Es legt keinen Wert darauf zu wissen, was es tut, solange es ihm nur Freude bereitet. Es ist spontan und kommt gut mit Veränderungen zurecht. Es ist innovativ, kreativ, aktionistisch und kann neue Ideen leicht erfassen. Das Eichhörnchen beginnt gern Neues, bringt aber oft die Dinge nicht zu Ende und lässt sich leicht ablenken. Es scheut die Konfrontation, wenn diese zu komplexen Problemen führen kann. Das Eichhörnchen nimmt immer den leichtesten Weg. Es wird als abenteuerlustig und gesellig empfunden.

Der Ochse ist Helfer und Beschützer. Er hat Mitleid und kann sich schnell in die Situation eines anderen versetzen. Der Ochse sucht immer den Kompromiss und macht sich sogar selbst zum Verlierer, um anderen ein gutes Gefühl zu verschaffen. Der Ochse ist aufopferungsvoll und liebt die Gerechtigkeit. Er ist milde und wankelmütig. Der Ochse ist ehrlich und treu und meidet die direkte Konfrontation. Er baut Kontakte auf und wird als zurückhaltend und angenehm empfunden.“

Robert zeigte auf die Holztafel mit den Tierbildern.

„Wie du auf dieser Tafel lesen kannst, sind den Tieren zusätzliche Merkmale zugeordnet, die es dir erleichtern mögen, sie zu erkennen. Es kann auch helfen, selbst eines der Tiere vorzugaukeln, um an der Reaktion des anderen Indizien für ein Tier zu erhalten. Dazu musst du wissen…

Die Tiere, die im Tierkreuz nebeneinanderliegen, können sich gut vertragen.

Die Tiere, die untereinanderliegen, wollen sich gern entsprechend der Anordnung dominieren und unterwerfen.

Die Tiere, die im Tierkreuz verquer liegen, sind einander selten verbunden. Dennoch sind in manchen Leuten diese Tiere vereint. Eine Verbindung kann von Nutzen sein, weil die Schwächen sich gegenseitig auszumerzen vermögen.

Tiere derselben Gattung verstehen sich meist am besten.

Der Dämon ist die Perversion eines jeden Tieres. Die Eule meidet er, weil diese ihn am schnellsten entdecken kann. Den Adler meidet er, weil dieser ihn am schwersten straft, wenn er entdeckt wird. Das Eichhörnchen liebt er, weil es sich auf seine Launen einstellen kann, ohne Verdacht zu schöpfen. Den Ochsen liebt er am meisten, weil dessen Hilfsbereitschaft ihn zum Opfer werden lässt.

Wenn du es vermagst, die Tiere und den Dämon zu erkennen, dann musst du lernen, wie du sie richtig einsetzen musst.“

Der Knecht gelobte das Gelernte zu üben und er wollte auch den Audienzen beiwohnen, um daraus Wissen und Erfahrung zu gewinnen.


Fortsetzung am 07.04.2023 mit „Der Baumeister“

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