15. Der Weg in eine fremde Welt

Für Marta und Arne blieb einen Moment lang die Welt stehen. Eine plötzliche Blindheit, begleitet von einer unwirklichen Stille überraschte die beiden. Marta schrie, doch kein Ton verließ ihre Kehle. Arne wollte sein Schwert fassen, doch sein Körper war vollständig gelähmt.

Die beiden fanden sich auf einer grünen Wiese wieder. Es war wärmer als in dem Steinbruch, in dem sie sich gerade noch aufhielten. Arnes Sinne waren scharf und er verspürte eine Anspannung, wie bei einer Schlacht, kurz bevor die ersten Waffen treffen.

Die Wiese endete abrupt an einer Kante, die Teil einer steilen Küste war. Das Meer rauschte und Marta tänzelte unbekümmert durch das Gras. „Was ist geschehen? Was hast du getan, Schwägerin?“ Fragte Arne ratlos. Marta überhörte den Feldherrn. Sie war es gewohnt, dass sich die Dinge von selbst in die richtigen Bahnen lenkten.

Arne sammelte sich, packte Marta bei der Hand und zerrte sie landeinwärts. Hier war Magie im Spiel und als Feldherr musste Arne schnell seine Situation klären.

Bald stießen die beiden auf einen Weg, dem sie folgten. Die Richtung spielte keine Rolle, da sie kein Ziel kannten. Wälder und Wiesen zeichneten eine blühende Landschaft. Es roch nach Frühling und frischen Blumen. Vögel zwitscherten. Arne wurde schnell klar, dass sie sich nicht mehr in Amontor befanden.

Nach kurzer Zeit kam den beiden ein Mann mit einem Esel entgegen. Der Esel war schwer beladen und Mann lief neben dem Tier her. Arne fragte, wo die nächste Ortschaft liegt. Der sprach: „Die nächstgelegene Ortschaft ist ‚Luz‘. Warum fragt Ihr das? Ihr kommt doch aus dieser Richtung.“ Arne nickte, ging aber nicht auf die Frage ein. Er wollte wissen: „Ist heute Markttag in Luz? Welche Waren führt Ihr mit?“ Der Mann blickte etwas beunruhigt. Der Anblick eines schwer gepanzerten Kriegers schien ihm ungewohnt zu sein. „Wollt Ihr mich überfallen? Bitte! Ich habe nicht viel. Nehmt mir nicht die Waren ab. Habt Erbarmen.“

Arne lächelte: „Verzeiht. Wo bleiben meine Manieren. Mein Name ist Arne und meine Begleiterin heißt Marta. Wir kommen aus Aresburg in Amontor und erlitten Schiffbruch. Seit so gut und erzählt, wo wir sind und wo wir einen Magier auffinden können. Ihr sollt keinen Nachteil erleiden.“ Arne holte seinen Beutel aus der Gürteltasche und gab dem Mann Münzen, für seine Kooperation.

Der Mann nahm schlagartig eine lockere Körperhaltung ein und stellte sich als Hannes vor. Er war auf dem Weg nach Luz, um Waren für das Fest der Lichter zu liefern. „Ihr habt Glück im Unglück. Nur zum Fest der Lichter und Farben kommen Magier hier her. Ihr seid auf der Insel ‚Corazon‘ gestrandet. Corazon gehört zum Herrschaftsgebiet von Ziamalia. Kommt mit mir. Ich führe Euch nach Luz und besorge Euch eine Unterkunft.

Nur eines müsst Ihr noch wissen. In Ziamalia zahlen wir mit Edelsteinen, nicht mit Münzen. Wenn Ihr es wünscht tausche ich Eure Münzen gegen einheimische Währung. Ein paar jetzt und etwas mehr später, wenn ich meine Waren verdingen konnte. Arne tauschte ein paar Münzen gegen vier rötliche, abgerundete Steine.

Das Gespann machte sich auf den Weg und näherte sich nur langsam dem Ziel. Der Esel machte viele Pausen. Hannes machte keine Anstalten und ließ das Tier gewähren. Als die Sonne schon tief stand, wurden die drei Reisenden und der Esel von einer Gruppe Adliger eingeholt, die offenbar auch zum Lichterfest zogen. Die hohen Herren ritten edle Rösser, während das Gesinde mit der Bagage laufen musste.

Freundlich grüßte einer der Berittenen. Im höflichen Ton bat er darum, den Weg frei zu machen. Arne grüßte zurück und half Hannes den Esel von der Straße zu schieben. Marta grüßte ebenfalls, woraufhin einer der Ritter eine Magd anwies milde Gaben zu verteilen. Brot und einen Schlauch voll Wein empfang Marta, die auf dieselbe höfliche Weise zu danken wusste.

Der Tross fuhr vorbei und verschwand bald aus dem Sichtfeld von Arne, Marta, Hannes und dem Esel. Da ertönte ein furchtbares Geschrei aus der Ferne. Waffen klirrten. Schilde und Knochen barsten lautstark. Hannes sagte: „Schnell! Wir schlagen uns ins Gebüsch. Sicher sind Räuber auf dem Weg. Das Fest der Lichter und Farben zieht jedes Jahr auch Räuber an, die gute Beute mit den Reisenden machen.“

„Schweig still Hannes und geh weiter!“ Ermahnte Arne. „Ich lasse mich nicht zum Opfer von gemeinen Räubern machen! Seht das Schwert an meiner Seite. In meiner Hand bringt es den Tod und den Frieden. Solange ich atme muss niemand sich fürchten.“

So gingen sie weiter und die Silhouetten des Adelsgespanns wurden wieder größer. Bald trafen sie erneut aufeinander. Blut prangte auf den Waffenröcken und den Tuniken. Tote Körper lagen auf der Straße. Männer in einfacher Gewandung. Ihre Leichen waren furchtbar entstellt und ihre abgenutzten Waffen lagen blutverschmiert im Dreck. Einem fehlte ein Stück Schädel und der rechte Unterarm. Das Hirn wurde mit einem Schwerthieb sauber durchschnitten. Ein abgetrennter Fuß, ein ganzes Bein, ein Arm und ein Kopf lagen zwischen den Leichen der Räuber. Ein Knecht watete dazwischen und schlug den Überlebenden mit einem Rabenschnabel die Köpfe ein.

Arne fragte in die Runde: „Wer führt den Tross an?“ Die Adligen, die inzwischen von den Pferden gestiegen waren, schwiegen. Der Schrecken steckte allen noch in den Gliedern. Arnes Frage blieb unbeantwortet. Einer der hohen Herren erklärte: „Diese Räuber überfielen uns und verlangten unsere Habe. Wir konnten einige niederstrecken, doch wurden zwei Begleiter verwundet. Bitte Krieger, schließt Euch uns an und schützt den Tross. Wir werden es Euch mit Münzen bezahlen.“

Arne hielt kurz inne. Er schätzte das Risiko und wog es gegen den Gewinn auf. Bald antwortete er: „Behaltet Eure Münzen und erlaubt mir nur, die Leichen zu plündern und auch alle, die noch erschlagen werden. Auch Eure Namen behaltet für Euch, wenn wir mit Euch kommen. So nutzen wir uns gegenseitig ohne, dass eine Schuld entsteht. Geht Ihr auf den Handel ein?“ Der edle Herr nickte. Was sollte es bei den Leichen schon zu plündern geben. Sie waren ohne Rüstung und ihre Waffen waren es nicht wert sich danach zu bücken.

Doch Arne der Feldherr wusste genau was er tat. Er durchsuchte die Taschen der Toten Angreifer und fand nichts von Wert. Eine kleine Schnitzerei, Tücher, die wohl als Verbandszeug dienten, Zunderzeug, ein paar Nüsse. So gierig Arne war, so viel lag ihm auch an seinem Leben. Er wollte genau wissen, mit wem er es zu tun hatte. Da Lagen nicht die Körper von Räubern. Da lag das Ergebnis von Armut und Verzweiflung. Keiner, der noch bei wachem Verstand war, würde einen Tross mit Rittern angreifen, ohne das nötige Werkzeug mitzuführen.

Die Verletzungen der edlen Herren waren leicht, so dass die kleine Reisegesellschaft sofort wieder aufbrechen konnte. Die Sonne sank am Horizont und im Dämmerlicht verschwanden die Farben aus der schönen Landschaft. Es dauerte nicht lang, da kam eine Ortschaft in Sichtweite. „Da ist Luz.“ Meinte Hannes.

Plötzlich ertönte ein Schrei. Schatten huschten aus den Büschen am Wegesrand. „Gebt uns Proviant und Dinge von Wert!“ Ertönte eine Stimme aus dem Dunkeln. Ohne ein Wort zu sagen, zogen die Berittenen ihre Schwerter und schnitten die erste dunkle Gestalt nieder. Arne rief: „Haltet ein! Senkt die Waffen! Wollt Ihr die Wegelagerer mit Blut bezahlen? Ihr Narren! Haltet ein!“ Im Rausche des Kampfes verhallten Arnes Worte. Er nahm Marta hinter sich und fasste sein Schwert, ohne es jedoch zu ziehen. Nach wenigen Augenblicken war alles vorbei.

Der Geruch von frischem Blut lag in der Luft. Wieder versperrten abgetrennte Gliedmaßen und geöffnete Körper den Weg. Noch ehe sich einer der Adligen über Arnes ausbleibende Unterstützung beschweren konnte, rief dieser: „Ihr Narren! Seht Ihr nicht das Offensichtliche? Diese armen Hunde hungern und rauben aus Verzweiflung. Gebt ihnen etwas Proviant und schont Eure Kräfte. Seht Euch nur an. Mit Blut habt Ihr gezahlt, um das Leben von diesen Schwächlingen zu nehmen. Was für eine Verschwendung!“

Einer der Ritter wollte gerade das Schwert gegen Arne richten, ohne zu wissen wem er gegenüberstand, als er von einem seiner Begleiter zurückgehalten wurde. „Ihr wagt es uns zu beleidigen? Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt?“ Arne schob die Brust vor und antwortete: „Ich kenne Euch nicht und Ihr kennt mich nicht. Einen Stand den ich nicht kenne, kann ich auch nicht beleidigen und Ihr wollt mich nicht kennenlernen. Das kann ich Euch versichern. Unsere Wege trennen sich hier. Gehabt Euch wohl und möge das letzte Stück Eures Weges friedvoll sein.“

Arne, Marta, Hannes und der Esel folgen dem Adelstross nun mit etwas Abstand. Durch die Verwundeten, kam dieser nun deutlich langsamer voran. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten alle den Ort Luz.


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